Widerstand an der Saar von 1933 bis 1936

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 flohen zahlreiche Politiker, Gewerkschafter, Journalisten und Schriftsteller ins Saargebiet. Hier organisierten sie den Widerstand gegen die ‚Deutsche Front‘ der Nationalsozialisten, die für den Anschluss des Saargebiets an das Deutsche Reich bei der Abstimmung am 13. Januar 1935 warben. Die NS-Gegner setzten sich für den Erhalt des Status Quo ein, demnach das Saargebiet weiterhin unter Verwaltung des Völkerbundes stehen sollte.

 

Orte

Dudweilerlandstraße: Unweit der Redaktionsräume Deutsche Freiheit befand sich die Wohnung von Johanna Kirchner.

Karcherstraße 14: Dort befand sich die Wohnung des Journalisten Konrad Heiden.

Schützenstraße 5: Hier waren die Redaktionsräume der Volksstimme, in denen Max Braun als Redakteur tätig war.

Bahnhofstraße 80: Hier führten Marie Juchacz und Johanna Kirchner eine Gaststätte. Sie war Treffpunkt für Geflüchtete und der Status-Quo-Befürworter.

Mainzer Straße 134: Hier befand sich ein Lager des Völkerbundes für die aus dem Deutschen Reich geflüchteten Regimegegner.

Auch im Schlafhaus Von der Heydt unterhielt die Liga für Menschenrechte im Saargebiet ein Lager für Geflüchtete.

Jenseits der Grenze in Forbach, in der Rue Sainte Croix fanden der Schriftsteller Erich Weinert und seine Frau bis zum Januar 1935 Zuflucht in dem Hotel Kreutzberg.

Bei Namborn und in Schmelz-Michelbach verliefen Grenzgänger- und Schmugglerpfade an der Grenze zwischen dem Deutschen Reich und dem Saargebiet. Auf dem Pfad in Höhe von Namborn-Hofeld wurden Druckschriften über die Gräuel des NS-Regimes ins Deutsche Reich gebracht.

 

In Saarbrücken gibt es das Mahnmal Stolpersteine. 70.000 Stolpersteine gegen das Vergessen hat der Künstler Gunter Demnig inzwischen in mehr als 2.000 Kommunen in Europa verlegt. Jeder einzelne erinnert an ein schreckliches Schicksal. In Saarbrücken wurden bislang 38 Stolpersteine verlegt. (Stand: August 2019)

 

 

 

 

Chronik


1933

Saarbrücken St. Johann, Brauerstraße 6-8: Hier befand sich das Büro der Bezirksleitung der SPD und des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Saar. Dort arbeiteten Max Braun, Marie Juchacz und Johanna Kirchner. Die Räumlichkeiten waren gleichzeitig auch Redaktionsraum für die Zeitschrift „Deutsche Freiheit“ und der Arbeitsplatz des Journalisten und Hitler-Gegners Konrad Heiden.

Der Journalist Konrad Heiden (1901 – 1966) emigrierte nach dem 30. Januar 1933 über Zürich nach Saarbrücken. Dort arbeitete er als Redakteur der Zeitschrift „Deutsche Freiheit“. Darin warnte er eindringlich vor dem NS-Regime, veröffentlichte unter anderem einen Bauplan des KZ Dachau. Nach dem 13. Januar 1935 floh Konrad Heiden über Paris in die USA.

1935

13. Januar: Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs unterstand das Saarland dem Völkerbund. Nach Ablauf von 15 Jahren sollte eine Volksabstimmung über die Zukunft des Saargebiets entscheiden. Zur Auswahl standen folgende Optionen: der Status Quo, demnach das Saargebiet weiterhin unter Verwaltung des Völkerbundes stehen solle, die Angliederung an Frankreich oder die Rückgliederung an das Deutsche Reich. Bei der Abstimmung am 13. Januar entschieden sich 90 % der Stimmberechtigten für die Rückgliederung an das Deutsche Reich und somit für eine Machtübernahme der Nationalsozialisten im Saarland. Nach Bekanntgabe der Ergebnisse flüchteten 8.000 politisch Verfolgte, die nach 1933 Zuflucht im Saarland gesucht hatten, über die Grenze nach Lothringen.

Saarbrücken-St.Johann, Ecke Kaiserstraße/Futterstraße: Hier stand die Saarbrücker Synagoge. Bereits vor der Abstimmung am 13. Januar emigriert Rabbiner Rülf mit seiner Familie nach Palästina. Der Komponist Tzvi Avni emigriert als Achtjähriger mit seiner Familie. Die damals elfjährige Esther Bejarano aus Saarlouis emigriert mit ihrer Familie nach Breslau. Der Filmregisseur Max Ophüls war bereits 1933 nach Paris emigriert.

Das Beethoven-Café in der Sulzbachstraße war nach dem 13. Januar Treffpunkt für die im Saargebiet verbliebenden Juden und Sozialdemokraten.

Im Haus der Arbeiterwohlfahrt in der Hohenzollernstraße in Altsaarbrücken hatte der Reichssender Saarbrücken seinen Standort. Das im Haus angebrachte Relief von Käthe Kollwitz wurde zerstört.

Das Haus der Gewerkschaften in Brauerstraße 8 wurde zum Sitz des Vorkommandos der Gestapo.

Am Hauptfriedhof in der Dr. Vogeler-Straße 21 in Alt-Saarbrücken ermöglichte ein Durchschlupf in der Friedhofsmauer die Flucht und das Überbringen von Informationen nach Frankreich. Als eine der letzten schlüpfte Eleonore „Lore“ Wolf, geborene Winkler (1906-1996) durch die Mauer nach Frankreich. Von 1933 bis 1935 war sie für die Kommunistische Partei und die Internationale Rote Hilfe (IRH) im Saargebiet aktiv gewesen. Sie half den vor Verfolgung durch das NS-Regime geflohenen Genossen und warnte angesichts der bevorstehenden Abstimmung am 13. Januar 1935 vor der Rückgliederung an das Deutsche Reich. Nach der Niederlage der Status quo-Befürworter musste Lore Wolf über Forbach nach Paris fliehen. Dort traf sie auf eine Exilantin aus Mainz. Es war die Schriftstellerin Anna Seghers. Lore Wolf wurde zu deren Freundin und Mitarbeiterin. Sie fertigte die erste vollständige Fassung des Romans „Das siebte Kreuz“ in Reinschrift an. Daran erinnert sich Lore Wolf nach dem Tod Anna Seghers.

„Vor fast fünfzig Jahren, Anfang 1935, begegnete ich Anna Seghers in Paris. (…) In dieser Zeit entstand auch ihr Buch „Das siebte Kreuz“. Mit ganzem Herzen war sie bei diesem Werk. Oftmals sah ich sie im Café de la Paix oder in einem kleinen Café am Montparnasse unter einer murmelnden Menschenmenge sitzen. Das Haar hing ihr ins Gesicht, aber das störte sie nicht. Sie schrieb und schrieb. Der Bleistift über das Papier, und das Manuskript wuchs. Jede Woche brachte ich mir ein Bündel Blätter, die ich für sie ins reine(!) schrieb. Wie schwer war es manchmal das Gekrakel zu entziffern, mich durch das Wirrwarr von Durchgestrichenem und Dazwischengekritzeltem zu finden! Und doch tat ich diese Arbeit gern. Tief bewegt und erschüttert erlebte ich das Geschehen in der Heimat, erlebte ich die Geburt dieses weltberühmten Werkes, das Anna Seghers kurz vor dem zweiten(!) Weltkrieg vollendete. (…) Im Jahre 1945, nach meiner Befreiung durch die Alliierten, setzte ich alles in Bewegung, um etwas über Annas Schicksal zu erfahren. Vergeblich! Aber am 30. September 1946 erhielt ich einen Brief aus Mexiko. Anna schrieb: (…) Ach so, unser ‚Siebtes Kreuz“! Es hat hier seltsamerweise einen sonderbar wilden Erfolg. Da Du schon hier warst, kennst Du ja den Teufelszauber von Publicity auf diesem Kontinent. Ich habe manchmal daran gedacht, für unsere gemeinsame Arbeiten Deinen Namen in das Buch zu schreiben, aber eine gottgläubige Furcht hielt mich davon ab.“ Zitiert aus: „Erinnerungen an Anna Seghers. In: Neue Deutsche Literatur, Heft 9, 1984

In Forbach in der Rue nationale 41 eröffneten Max Braun, Marie Juchacz und Johanna Kirchner eine Beratungsstelle für Geflüchtete aus dem Saargebiet. Schätzungen zufolge flohen nach dem 13. Januar 1935 ca. 6.000 Saarländer über die Grenze nach Forbach. In der Beratungsstelle erhielten die Geflüchteten sogenannte „Nansen-Ausweise“, benannt nach dem Nansen-Amt des Völkerbundes für Staatenlose. Rund 1.200 Geflüchtete aus dem Saargebiet erhielten diesen international gültigen Ausweis, der ihnen die Weiterreise ermöglichte. Sie fanden Unterkunft in den Centres d’Hérbergement in Forbach, Sarreguemines, Teterchen und Bouzonville.

1936

Am 30. April wird die Beratungsstelle in eine Zweigstelle des staatlichen französischen „Office pour les Refugiés Sarrois“ umgewandelt.

1939

Am 1. September beginnt mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Daraufhin wird die Grenzregion Saarland, Rheinland-Pfalz und Lothringen als „Rote Zone“ erklärt. Die Forbacher Beratungsstelle wurde aufgelöst und deren Betreiber flohen ins Innere Frankreichs.