Das 1940 in Betrieb genommene Sicherungslager Schirmeck steht in enger Verbindung mit der Annexion des Elsass durch das Deutsche Reich und der damit einsetzenden Germanisierung, Zwangsrekrutierung und der Verfolgung der sich den Maßnahmen des NS-Regimes widersetzenden Elsässerinnen und Elsässern. Es war das erste Lager, das die Nationalsozialisten im Elsass errichteten. Am 19. Juni 2005 wurde am östlichen Ortseingang von Schirmeck das Mémorial d´Alsace-Moselle (Gedenkstätte Elsass-Mosel) eröffnet.
Kontakt
Memorial Alsace-Moselle
Chauffour
67130 Schirmeck
Frankreich
Telefon: +33 | 0 | 387 | 47 45 50
Webseite: www.memorial-alsace-moselle.org
Öffnungszeiten:
Täglich von 9:30 bis 18:00 Uhr
Das von den Nationalsozialisten in dem Schirmecker Ortsteil Vorbruck, französisch La Broque, errichtete Sicherungslager gehört zu den vergessenen Lagern des NS-Terrors. Schirmeck war ein Umerziehungslager für Elsässer, die sich weigerten, ihre Sprache und Kultur trotz Zwangseingliederung aufzugeben. Anlass zum Widerstand gab im August 1940 die Anordnung von Gauleiter Wagner, französische Namen durch deutsche zu ersetzen und das Verbot französisch zu sprechen.
Nach Kriegsende wurden die Lagergebäude in Schirmeck größtenteils abgerissen. Auf dem Gelände entstand eine Wohnsiedlung. Das Lagerareal ist jedoch bis heute gut zu erkennen. Die frühere Lagerkommandantur und das von Häftlingen errichtete Werkstattgebäude blieben erhalten und wurden ebenfalls als Wohnhäuser genutzt. Auch die von Daimler-Benz zur Rüstungsproduktionen genutzten Werkhallen, die an das Lager grenzen und in denen Häftlinge zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden, stehen noch.
Eine kleine Gedenktafel am Giebel der ehemaligen Kommandantur erinnert an das erste Lager der Nationalsozialisten im Elsass. 2005 wurde die Gedenkstätte Mémorial d’Alsace-Moselle eröffnet. Im Inneren des Gebäudes ist auf 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche die Geschichte der besetzen Region Elsass-Lothringen von 1871 bis 1945 dokumentiert. Die Geschichte der Region Elsass-Mosel von 1871 bis 1939 ist in Wort und Bild dokumentiert. Auch Zeitzeugen kommen zu Wort und erzählen an Hörstationen von ihrem Leben in der deutsch-französischen Grenzregion. Ein in mehreren Sprachen angebotener Audioguide informiert über die Geschichte des Grenzlandes.
Die Evakuierungen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs von rund 600.000 Menschen aus der Grenzregion sind in Form eines Bahnhofs mit Wartesaal und mehreren Zugabteilen dargestellt.
Ein weiterer Teil der Ausstellung ist das Bild eines unterirdischen Tunnels als Teil der Maginot-Linie. Es symbolisiert den sogenannten ‚Sitzkrieg‘, bei dem deutsche und französische Soldaten einander in unterirdischen Stellungen gegenüberstanden, ohne dass es dabei zu einem offenen Kampf kam.
Mehrere Abteilungen der Ausstellung beschäftigten sich mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Frankreich am 10. Mai 1940 und der Besetzung und Annexion des Elsasses und Lothringens. Die Folgen der Zwangsgermanisierung und Zwangsrekrutierung sowie der daraus resultierende Widerstand, die Verfolgung und Kollaboration sind ebenfalls Teil der Ausstellung. Die Lager Schirmeck und Natzweiler-Struthof als Kristallisationspunkte des Terrors und der Ausgrenzung gehören ebenfalls zur Dokumentation der deutschen Besatzung der Region von Elsass und Mosel.
Der Krieg wird ebenfalls in der Ausstellung thematisiert. Die Befreiung, die Nachkriegsjahre, die Rückkehr ins alltägliche Leben und die deutsch-französische Versöhnung bilden das Ende der Ausstellung.
Geschichte des Lagers
Zwischen 1940 und 1944 wurden in Schirmeck rund 25.000 Menschen inhaftiert. Mehr als die Hälfte der Häftlinge war auf Anordnung der Straßburger Gestapo inhaftiert. Während ihrer Haft sollten sie zu ‚Volksgenossen umerzogen‘ werden. Bei ihrer Entlassung zwang man sie Verschwiegenheitserklärung über ihre Zeit im Lager zu unterschreiben. Außer Elsässern waren auch Amerikaner, Skandinavier und Osteuropäer in Schirmeck inhaftiert. Offiziell sind 76 Todesfälle verzeichnet. Schätzungen zufolge liegt diese Zahl jedoch weitaus höher: mehr als 500 Gefangene wurde im Lager ermordet oder starben an den Folgen von Krankheiten und Misshandlungen. Sie wurden entweder ihren Angehörigen übergeben oder in einem Massengrab auf dem Neuen Katholischen Friedhof in La Broque beigesetzt. Nach der Fertigstellung des Krematoriums im KZ Natzweiler-Struthof wurden die Leichen aus Schirmeck dort verbrannt.
Brutalität und Willkür bestimmten den Lageralltag. Die Häftlinge wurden zum sogenannten ‚Lagersport‘ gezwungen, sie mussten auf Befehl hüpfen, sich in Regenpfützen legen und über den Boden kriechen.
60 Schutzpolizisten der Gestapo arbeiteten im Lager, darunter waren auch vier Aufseherinnen für das Frauenlager. Rund 100 Polizisten waren in der Lagerverwaltung beschäftigt. Durchschnittlich waren vermutlich rund 1.000 Männer und 250 Frauen im Lager Schirmeck inhaftiert. Die Männer wurden im Straßenbau eingesetzt. Die Frauen wurden zur Arbeit in der Wäscherei und der Schneiderei gezwungen.
Sicherungslager und Erziehungslager
Als weitere Maßnahme zur Umerziehung der Elsässer zu sogenannten deutschen ‚Volksgenossen‘ wurde ein Sicherungs- und Erziehungslager eingerichtet und am 2. August 1940 in Dienst genommen. Offiziell war das Lager kein Konzentrationslager und unterstand nicht dem ‚Reichssicherheitshauptamt‘ in Berlin. Das Lager unterstand der Verwaltung der Strafvollzugsanstalten in Elsass-Lothringen. Es wurde außerdem von der Gestapo als Polizeigefängnis genutzt.
Unter den Häftlingen befanden sich nicht nur Elsässer, die sich der Germanisierung verweigerten. Auch Regimegegner, Fluchthelfer, Geistliche, Homosexuelle, Prostituierte, Schmuggler oder Sinti und Roma wurden in Schirmeck inhaftiert.
Das Lager bestand aus elf Gefangenenbaracken, fünf weiteren Gebäuden (Garagen, Werkstätten, Unterkünfte des Wachpersonals) und einem Appellplatz. 1943 kam ein Festsaal für rund 2.000 Personen hinzu. Zudem bestand das Lager aus einer Hauptwache, der Kommandantur, einem Verhörgebäude und einer öffentlich zugänglichen Kantine. Der gesamte Lagerkomplex war mit einem zwei Meter hohen, doppelten Stacheldrahtzaun und vier Wachtürmen gesichert. Ein an der Außenseite angebrachter Sichtschutz verhinderte den Blick ins Lagerinnere.
Zeitzeugenberichte
Über die Ereignisse im Sicherungslager Schirmeck berichtet der ehemalige Inhaftierte Pierre Seel. Als 17-jähriger wurde er aufgrund seiner Homosexualität in Schirmeck interniert.
Mir blieb keiner der Schrecken von Schirmeck erspart. Unter dem Gebrüll der SS-Männer musste ich alle Arten von gefährlichen oder einfach dummen Befehlen und ermüdenden Aufgaben ausführen und wurde schnell ihr willenloses Spielzeug. Man riss uns um sechs Uhr morgens aus dem Schlaf. Wir verschlangen hastig ein undefinierbares Gebräu und eine kleine Scheibe Kommissbrot, kaum mehr als ein vertrocknetes oder verschimmeltes Stück Schwarzbrot. Nach dem Appell zogen die meisten von uns in die Steinbrüche der Umgebung, wo wir Steine aus dem Fels brachen und auf Kipploren luden. Die SS-Männer waren stets von deutschen Schäferhunden begleitet, um uns davon abzuhalten, im dichten Wald zu verschwinden. (…) Um die Mittagszeit servierte man uns eine dünne Suppe mit einem Stückchen Wurst. Dann ging die Arbeit bis achtzehn Uhr weiter. Bei unserer Rückkehr ins Lager durchsuchte man uns gründlich. Danach zogen wir uns in unsere Baracken zurück. Mit zwei Schöpflöffeln Kohlsuppe klang unser Tag aus. Es gab einen letzten Appell, und dann drehte sich der Schlüssel zweimal im Türschloss unserer Baracken. Die nächtlichen Patrouillen begannen, obwohl der Tag hinter den Bergen noch nicht zu Ende gegangen war. Erschöpft und verstört bemühte ich mich, den einen oder anderen Blick aufzufangen, mit einem dieser Gespenster, die genauso ausgelaugt waren wie ich, ein paar Worte zu wechseln. Aber sehr bald verzichtete ich darauf. Ich begriff, dass jeder Kontakt unmöglich, ja gefährlich war: Das Lager glich einem Ameisenhaufen, in dem jeder nur seine eigene Aufgabe wahrnahm. (…) Eines Tages forderte man uns über die Lautsprecher auf, uns auf dem Exerzierplatz einzufinden. (…) Tatsächlich erwartete uns diesmal aber eine ganz andere, eine schmerzlichere Prüfung, nämlich eine Hinrichtung. Man führte einen jungen Mann, zu jeder Seite von einem SS-Mann gehalten, in die Mitte des Quadrats. Voller Schrecken erkannte ich Jo, meinen zärtlichen Freund. (…) Bis dahin war ich ihm im Lager nie begegnet. War er vor oder nach mir eingetroffen? In den paar Tagen vor meiner Vorladung bei der Gestapo konnten wir uns nicht sehen. Ich erstarrte vor Schreck. Ich hatte darum gebetet, er möge ihren Razzien, ihren Listen und ihren Demütigungen entkommen. Aber da war er, vor meinem ohnmächtigen Blick, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Im Gegensatz zu mir hatte er keine gefährlichen Kuverts verteilt, keine Anschläge abgerissen und auch keinen Aufruf unterzeichnet. Und dennoch hatte man ihn verhaftet, und gleich würde er sterben. So vollständig waren die Listen also. Was würde sich ereignen? Was warfen diese Ungeheuer ihm vor? In meinem Schmerz habe ich vollständig vergessen, wie der Akt der Urteilsverkündung selbst vor sich ging. Dann tönte laute Musik aus den Lautsprechern, während SS-Männern ihn nackt auszogen. Danach stülpten Sie ihm heftig einen Blecheimer über den Kopf. Sie hetzten die reißenden Wachhunde des Lagers, die deutschen Schäferhunde, auf ihn. Zuerst bissen sie ihn in den Unterleib und in die Schenkel, bevor sie ihn vor unseren Blicken verschlangen. Seine Schmerzensschreie wurden durch den Eimer, der die ganze Zeit über seinen Kopf bedeckte, verstärkt und verzerrt. Starr und schwankend, die Augen weit aufgerissen, angesichts so viel Schreckens, mit tränenüberströmten Wangen, betete ich inbrünstig darum, dass er ganz schnell das Bewusstsein verlieren möge. Seither schrecke ich bis heute oft nachts schreiend aus dem Schlaf. Seit über fünfzig Jahren taucht diese Szene immer wieder vor meinem geistigen Auge auf.
Die Französische Regierung errichtet im Herbst 1939 sechs Holzbaracken am Ortsrand der Gemeinde La Broque an der Departementstraße 392 im Breuschtal. Darin sollten nach Beginn des Zweiten Weltkriegs die Bewohner des evakuierten deutsch-französischen Grenzgebiets untergebracht werden. Der Großteil der rund 600.000 Menschen wurde jedoch in den Südwesten Frankreichs gebracht. Die französische Armee nutzt die Gebäude als Unfallstation und Hospital.
Auf den Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich im Juni 1940 folgt die Annexion des Elsass. Das Elsass und die Departements Bas-Rhin und Haut-Rhin wurden Teil des Gau Baden. Gauleiter für Baden und Elsass war Robert Wagner. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Bevölkerung ‚einzudeutschen‘. Doch nur wenige Elsässer treten der NSDAP bei oder melden sich als Freiwillige für die Wehrmacht oder die Waffen-SS. Nach Verlusten der deutschen Wehrmacht an der Ostfront führt Gauleiter Wagner, ebenso wie seine Kollegen Simon in Luxemburg und Bürckel in Lothringen, die allgemeine Wehrpflicht ein. Eine große Zahl der Zwangsrekrutierten entzieht sich dem Befehl und flieht über Grenzgängerpfade in den nicht besetzten Teil Frankreichs. In der Nähe von Schirmeck diente der alte Schmugglerpfad zwischen Salm und Moussey der Flucht aus dem Elsass.
Von den rund 130.000 in die Wehrmacht eingezogenen Elsässern und Moselanern überlebten nur 40.000 den Krieg. Etwa 10 Prozent aller französischen Kriegsopfer stammen aus dem Gebiet Elsass-Mosel.
Ende August 1944 beginnt die Auflösung des Lagers. Die Gefangenen werden nach Rotenfels in der Gemeinde Gaggenau verlegt, wo sich ein Außenkommando des Lagers befand. Die Gefangenen müssen Zwangsarbeit im Daimler-Benz Werk Gaggenau leisten. Der letzte Gefangenentransport verlässt Schirmeck am 22. November 1944. 300 inhaftierte Frauen bleiben im Lager zurück.
Das Lager wird am 24. November durch amerikanische Truppen befreit.
Vom 1. Januar 1945 bis zum 31. Dezember 1949 dienen die Baracken als Internierungslager für Kollaborateure.
Gedenkfahrten und Führungen über das Lagergelände. Plan zur Errichtung eines Museums.
Verkauf des Geländes und Errichtung einer Wohnsiedlung. Überbauung des Lagergeländes. Aufbau einer nationalen Gedenkstätte am Ort des ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof.